Es ist geschafft! – Teil 3

Samstag, 1.11.2014

Nach einer weiteren Nacht ohne mein Kind neben mir und der gewohnten Routine, wachte ich morgens unruhig auf. Es war Wochenende, aber ich hatte das Gefühl für Zeit und Raum schon lange verloren. Mir fehlte mein vertrauter Ablauf an einem Samstagmorgen. Ich war angespannt, unruhig und ungeduldig. Meinen Mann schickte ich los ins Krankenhaus. Ich wollte nicht, dass Hannah zu lange allein bleiben muss. Am Samstag war der Wurm drin. Ich habe nicht mal die kleinsten Dinge auf die Reihe bekommen. Ich ließ Emma ohne Gegenwehr vorm Fernseher versacken, war gedanklich ganz weit weg, wenn sie mich etwas fragte und hatte Mühe, mich selbst zu etwas aufzuraffen. Ich habe die Belastung der letzten Tage wirklich unterschätzt. Ich wollte am liebsten allein sein, niemanden hören, niemanden sehen. Ich hatte schreckliche Sehnsucht nach Normalität, nach dem, meinem Leben, das ich die letzten Wochen hatte. Ein Stück Gewohnheit, ein Stück Sicherheit in einem Moment, in dem ich taumelnd und völlig unkontrolliert einen kraftlosen Schritt vor den nächsten setzte.

Währenddessen wurden Hannah ein Wundschlauch und die Herzschrittmacherkabel gezogen. Mein Mann schrieb mir immer, wie tapfer sie ist und dass sie der Liebling der Station sei.

Gib her, das kann ich wieder alleine!

Aber die geplante Verlegung auf die normale Station würde wohl nicht stattfinden. Ich war frustriert und fühlte mich wieder wie in einer Zwangsjacke in einer Gummizelle. Ich wollte so gern endlich aus dem Trott ausbrechen und endlich einen weiteren Schritt weiter kommen. Oder wollte ich einfach zu viel in dem Augenblick?
Mittags packte ich Emma und ging mit ihr vor die Tür. Spazieren. Sonne tanken. Den Kopf frei kriegen. Kraft tanken.

Ein Ausflug bei 17°C – am 1. November

Der Spaziergang tat uns beiden gut

Nachmittags fuhr ich sie zum Schwimmen, übergab sie dort meinem Mann, der zum Schichtwechsel das Krankenhaus verlassen hatte. Anschließend fuhr ich wieder quer durch die Stadt ins Herzzentrum.

Hannah spielte gerade mit der Schwester und fing Seifenblasen, als ich ankam. Sie war endlich wieder die alte. Sie strahlte, schnatterte und beschäftige jeden, der an ihr Bett trat.

Ihr neues Lieblingsspiel!

Es war das erste Mal seit Dienstag, dass die Zeit nicht still zu stehen schien.
Um 20 Uhr wollte ich nach Hause. So war mein Plan. Aber am Spätnachmittag zog man Hannah den letzten Schlauch aus der Wunde und stellte anschließend das Morphin ab. Das war der Startschuss für „Jetzt bin ich wieder komplett die alte und zeige was ich kann!” Statt zu schlafen, spielte sie mit allem, was ihr in die Finger kam, kuschelte auf meinem Arm, zappelte durch’s Bett, schnattere und zeigte allen ihr Repertoire aus Klatschen, Brumm-Lauten und Schäkern.

Da bin ich wieder!

Frau Königin in ihrem Herrschaftsbereich

Ich genoss diese Stunden sehr, auch wenn ich etwas kraftlos an ihrem Bett hing und am liebsten eingeschlafen wäre. Der 20-Uhr-Plan wurde erst um 22 Uhr vollführt. Die Schwestern versuchten mich die ganze Zeit zum Gehen zu überreden. Sie seien ja da und würden sich um sie kümmern. Das wusste ich guten Gewissens. Aber ich konnte nicht gehen, solange sie wach war. Also wartete ich und kuschelte und küsste sie in den Schlaf.

Endlich eingeschlafen. Zeit zu gehen.

Um 22.45 Uhr war ich endlich zu Hause. Es ging mir zum ersten Mal etwas besser. Nur diese bleiernde Erschöpfung wollte einfach nicht weniger werden. Und auch die Sehnsucht nach meinem Baby im Bett war plötzlich wieder da…

Sonntag, 2.11.2014

Der Sonntagmorgen war die Wiederholung vom Samstag. Ich wachte sehr zeitig auf, erinnerte mich an einen wirren Traum und hatte wieder diese innere Unruhe. Eigentlich sollte mein Mann wieder die erste Krankenhausschicht machen. Aber ich warf den Plan kurzerhand über Bord und stieg selbst ins Auto.

Und täglich grüßt das Murmeltier…

Frühstück gab es aus der Hand. Emma beschwerte sich später am Abend, dass sie weder Samstag noch Sonntag ein Frühstücks-Ei bekommen hätte. Aber dafür war einfach keine Zeit. Gegen halb 11 (viel zu spät für mich und mein Gewissen) kam ich an, durfte kurz an ihr Bett und musste anschließend kurz den Raum verlassen, damit der kleine Junge neben Hannah operativ versorgt werden konnte. Kurz waren am Ende über 2h, die ich im Wartebereich verbrachte. Ich war frustriert. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich mich irgendwo draußen in die Sonne gesetzt. So saß ich mit meinem Laptop im Wartebereich und fing an, die letzten Tage aufzuschreiben. So vieles war schon ganz weit weg. Ich musste mich manchmal sogar fragen, WIE LANGE all das her war und saß dort und nahm teilweise die Finger zur Hilfe, weil es mir so ewig her erschien. Gegen 13 Uhr durfte ich endlich zu ihr. Und es gab gute Nachrichten: Wir durften endlich auf die normale Station verlegt werden! Vorher wurde Hannah allerdings ihr ZVK (Zentraler Venen Katheter) gezogen und ein neuer Zugang im Kopf gelegt. So wütend wie danach habe ich sie noch nie erlebt. Himmel hat sie eine Kraft!

Ein weiterer Meilenstein ist geschafft!

 
Eine halbe Stunde später waren wir endlich unten auf der normalen Station. Allein in einem Zweibett-Zimmer. Ein Paradies der Stille. Ohne piepende Apparate, ohne die Hektik einer Intensivstation. Und ich konnte endlich wieder so mit meinem Baby umgehen, wie ich wollte. Sie bekuscheln, umhertragen, mit ihr spielen. Ein weiterer Meilenstein war geschafft.

Die himmlisch ruhige Freiheit auf der normalen Station

Mein Mann traf kurze Zeit später ein und der hinzukommende Arzt, mit dem Hannah schon auf der Intensivstation ununterbrochen geschäkert hat, ließ uns wissen, dass alle sehr zufrieden mit dem überdurchschnittlich guten Verlauf sind und man uns hoffentlich sehr bald entlassen würde!
Als Hannah nachmittags einschlief, bin ich gefahren, um Emma beim Geburtstag meiner Tante abzuholen. Mein Mann blieb die Nacht über bei ihr. Dieser Spagat zwischen 2 Kindern ist fast das schwerste, was man in der ganzen Zeit immer wieder vollbringen muss.
Emma war weinerlich und sehr anhänglich an diesem Abend.

Kuscheln ist die beste Medizin

Und als hätte das nicht schon gereicht, fiel sie mit dem Kopf voran die halbe Treppe hinunter. Oh man… Irgendwas ist immer!

Montag, 3.11.2014

Wieder ein Tag rum.  Ich brachte Emma morgens in die Kita und machte mich dann direkt auf den Weg ins Krankenhaus. Wofür ich am Wochenende noch knappe 25 Minuten brauchte, kostete mich an diesem Morgen inklusive Parkplatzsuche geschlagene 1,5 Stunden! Ich war frustriert und wütend, als ich im Krankenhaus ankam. Hannah strahlte mich an, obwohl die Nacht wohl äußerst bescheiden war. Sie hatte mehrfach sehr hohe Herzfrequenzen und bekommt jetzt entsprechend oft Beta Blocker zum Senken des Blutdrucks.

Mein Mann fuhr ins Büro und ich schlug mein Lager in Hannah’s Zimmer auf. Ich bin ungeduldig und ich hasse warten. Und heute war Hannah sehr schlecht gelaunt. Ich glaube, sie realisierte so langsam, dass die Herrschaften in blau nicht ganz so nett sind. Also nett schon, aber wenn sie kommen, heißt das für sie meistens nichts Gutes. Und so brüllte und wütete sie jedes Mal, sobald sich ein Arzt oder eine Schwester näherte. Irgendwie verständlich. Aber auch anstrengend.
Ruhe gab sie nur, wenn ich sie durch den Raum oder über die Klinikflure trug. In der anderen Zeit schlief sie.

Das lange Warten im Mikrokosmos Krankenhaus

Mittags gab es – weil nichts anderes da war – ein 12-Monats-Gläschen Brei. Naja, mit 9 Monaten sind wir ja dicht dran. Und Nudeln gehen bekanntlich immer.
Wir schlugen gemeinsam die Zeit tot, schnappten uns einen Buggy und fuhren die Flure auf und ab.

Ausflugszeit

Zwischendrin gab es immer mal wieder Röntgenuntersuchungen oder Ultraschalle. Unter größtem Protest versteht sich. Aber immerhin konnte ich so heute zum ersten Mal ihre Narbe sehen. Und sie ist toll. Ganz zart. Zwar sehr lang, aber ich hoffe, dass sich das mit den Proportionen noch verwachsen wird. Ich glaube, man wird davon in einigen Monaten kaum noch etwas sehen.

Am Nachmittag kam mein Mann wieder ins Krankenhaus. Wir sprachen mit dem Arzt, der uns sagte, wie toll Hannah das bis hier gemacht hat. Ein excellenter Verlauf. Der einzige Grund, der ihn davon abhielt, uns heute schon zu entlassen war, dass sie nach der OP 300g abgenommen hat. Er möchte zumindest einen Aufwärtstrend sehen, bevor wir nach Hause dürfen.

Dürfen wir wirklich am Dienstag nach Hause?

Ich war enttäuscht, denn heute hatte meine Mama Geburtstag und ich wünschte mir sehr, ihr dieses Geschenk machen zu können.
Aber realistisch betrachtet sind seit der OP erst 4 Tage vergangen. Werden wir morgen tatsächlich entlassen, ist das immer noch der absolute Wahnsinn nach so einem massiven Eingriff. Mein kleines, starkes Hannah-Wunderkind.

Es sind die kleinen Dinge, die uns ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Wir sprachen auch mit dem Sozialdienst bezüglich Reha und unterschrieben den Antrag auf Schwerbehinderung. Zu letzterem schreibe ich bald mehr. Jetzt nur soviel: Es ist ein sinnvoller Schritt bei einem angeborenen Herzfehler.
Eine Reha möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht machen. Ich bin ein Zuhause-Mensch. Hier geht es mir am besten. Ich kann und will nicht 4 Wochen von zu Hause weg sein, organisiertes Entertainment haben, Ringelpietz mit Anfassen und Gesprächsgruppen. Das bin ich nicht und das hilft mir nicht. Wir könnten das ganze zwar auch zu Viert als Familie machen, aber auch diese Option scheidet für mich momentan noch aus. Ich möchte einfach nur endlich wieder zu Hause sein und Ruhe einkehren lassen.

Am Abend bin ich wieder nach Hause gefahren und habe das Papa-Tochter-Team im Krankenhaus zurückgelassen.

Hannah und Papa allein im Krankenhaus

Irgendwie komme ich mir dabei immer vor wie eine Rabenmutter. Aber ich wollte heute auch meiner Mama eine Freude machen und bei ihrem Geburtstag dabei sein. Und dann ist ja auch noch Emma da, die noch nie so verkuschelt und anhänglich war, wie in diesen Tagen.

7 Kommentare on Es ist geschafft! – Teil 3

  1. Anonymous
    04/11/2014 at 00:14 (10 Jahren ago)

    Ich empfinde so viel Liebe wenn ich das alles lese… Bleibt stark, eines Tages.. Wird alles gut Jessica

    Antworten
  2. Sandra
    04/11/2014 at 07:17 (10 Jahren ago)

    Rabenmutter… nein, nein, nein…! Wer das ausgeprägte Sozialverhalten der Raben kennt weiss, dass das Wort Rabenmutter (Rabeneltern) eigentlich eine Auszeichnung ist!! Wenn jemand diese Auszeichnung verdient hat, dann ihr als Hannah-Emma-Familie……………<br /><br />Dass die kleine Prinzessin Hannah heute nach Hause entlassen wird, was die beste Nachricht in meiner Morgenpost! So schön…

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  3. Anonymous
    04/11/2014 at 21:23 (10 Jahren ago)

    Eure Hannah ist so unglaublich tapfer und es ist so schön zu lesen, wie ihr sie mit eurer Liebe wieder gesund macht! <br />Und habe kein schlechtes Gewissen, wenn du nicht rund um die Uhr bei ihr bist, auch deine große Tochter braucht dich und wenn der Papa bei ihr ist, dann ist das auch wunderschön!

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  4. Katrin
    05/11/2014 at 12:03 (10 Jahren ago)

    Ich sitze gerade im Büro und weine heimlich hinter meinem Bildschirm. Ihr seid so toll, so tapfer, und eure Hannah ist so entzückend süß. Ich wünsche ihr von ganzem Herzen alles Gute dieser Welt und soviel Gesundheit wie möglich ist. Liebe Grüße, Katrin

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  5. Mama
    08/11/2014 at 12:36 (10 Jahren ago)

    Danke, dass du zu meinem Geburtstag da warst. Deine Mama &gt;3 oder &lt;3<br />

    Antworten
  6. Annika
    01/06/2016 at 13:39 (9 Jahren ago)

    Hallo Jessika,
    der Bericht über die Herz OP von Hannah hat mir total viel Kraft gegeben. Mein zweiter Sohn hat auch eine Herz OP vor sich. Er ist jetzt 5 Monate und sollte eigentlich heute operiert werden, jedoch haben wir vor 2 Tagen bescheid bekommen, dass sich die OP krankenhausbedingt verschiebt. In den letzten Monaten habe ich deinen Bericht etliche Male gelesen. Danke!

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    • Jessika Rose
      01/06/2016 at 17:20 (9 Jahren ago)

      Liebe Annika!

      Alles Gute euch und vor allem deinem Sohn! Alles wird gut!

      Antworten

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