Da sitz ich nun. Es ist Sonntag, der 2.11.2014 und der mittlerweile sechste Tag im Herzzentrum. Zwischen unserer Aufnahme letzten Dienstag und heute liegen gefühlte Jahre. Ein Berg, den wir erklommen haben. Ein Marathon, den wir gelaufen sind. Anstrengend und erschöpfend. Im Ziel angekommen, fällt es einem schwer zu realisieren, dass man tatsächlich bis hier gekommen ist. Es sind so viele gemischte Gefühle. Glück, Erleichterung, Freude. Aber auch das langsame Begreifen, das Abfallen der Anspannung der letzten fast 14 Monate, die Angst, die sich nur langsam auflöst.
Ich möchte hier gern erzählen, wie ich die letzten Tage erlebt habe.
Und natürlich möchte ich euch allen dafür danken, dass ihr an uns gedacht und mitgebangt habt!
Dienstag, 28.10.2014
Der Tag startete entspannt. Wir frühstückten zu Hause, ich brachte unsere Große zur Oma, damit sie einen Ausflug unternehmen können, fuhr zurück nach Hause, packte alles ins Auto und dann fuhren wir los Richtung Wedding. Um 10 Uhr mussten wir zur vorstationären Aufnahme erscheinen.
Auf geht’s, Augen zu und durch! |
Nachdem wir dieses Prozedere in den letzten Monaten mehrfach durchlaufen haben, wussten wir, was uns erwartet und waren entsprechend genervt, so früh da sein zu müssen. Die meiste Zeit verbrachten wir auf dem Flur. Wartend und mit flauen Gedanken an den nächsten Tag. Hannah war die Geduldigste. Sie wurde erst ungehalten, nachdem die Ärzte 4x versuchten, ihr einen Zugang im Kopf zu legen. Nach dem 3. Fehlversuch ging ich dazwischen und bat darum, dass jemand anderes weitermacht. Ich bin eigentlich sehr unempfindlich, was das angeht. Was sein muss, muss sein, aber in dem Moment war das Fass für Hannah und mich einfach voll.
Der Zugang im Kopf ist endlich gelegt. |
Mit fortschreitender Stunde wurden meine Nerven dünner. Als feststand, dass wir in ein 4-Bett-Zimmer, trotz privater Versicherung mit 2-Bett-Zimmerstatus, sollten, wollte ich am liebsten nach Hause. Gott sei Dank fand der stationsleitende Arzt eine andere Lösung und wir durften bereits vor der OP auf die Intensivstation und bekamen dort ein eigenes Zimmer.
Noch konnte sie durch’s Bett robben |
Die Nacht war anstrengend, aber ruhig. Die Nachtdienst-Schwester war die einzige, die stündlich mit Festbeleuchtung dazwischenfunkte. Hannah schlief zufrieden, bekam um 2 Uhr ihre letzte Milch und wir wechselten uns schlafend in dem einzigen anderen Bett ab.
Nacht-Idylle |
Ich selbst war trotz Erschöpfung auch verdächtig ruhig. Zu ruhig, wie sich herausstellen sollte…
Mittwoch, 29.10.2014
Halb 7 schlug ich die Augen auf. Noch vor meinem Wecker. Hannah sollte zwischen 7 und halb 8 in den OP runter. Gegen 7 Uhr wurde sie wach. Hungrig, aber trotzdem gut gelaunt. Durch die Klimaanlage, die nachts im Zimmer lief, hustete sie etwas ab. Panik bei den Ärzten. Mir dämmerte in dem Augenblick schon, was man uns gleich sagen würde. Sie wurde untersucht, Fieber gemessen, die Ärzte sprachen sich ab. Und dann stand es fest: Die OP findet nicht statt! Was sich jetzt so lapidar schreibt und liest, war in dem Augenblick der Anfang eines wahren Nervenkrieges. Wir waren so weit gekommen, haben Monate auf diesen Tag gewartet und nun, wenige Minuten vor dem Eingriff wird dieser plötzlich abgesagt. Ich war wütend, verzweifelt und am Ende mit meinen Nerven. Diese Anspannung und nervliche Belastung war mittlerweile unerträglich.
Warten… Als hätten wir das nicht genug getan in den letzten Monaten! |
Es war mittlerweile 8 Uhr durch. Der Oberarzt der Kinderintensivstation sprach mit uns. Sie könne eventuell doch noch in den OP. An zweiter Stelle am Nachmittag. Die Aussage war jedoch zu vage. Hannah durfte nichts trinken und war entsprechend nörgelig. Wir saßen in dem isolierten Zimmer auf der Intensivstation und warteten stumm. Hannah schlief immer wieder ein.
Wenigstens schlief sie immer mal wieder zwischendurch. |
Um halb 10 dann die Info, dass sie bis 10 Uhr was trinken dürfe. Endlich. Was mit der OP passieren würde, war zu dem Zeitpunkt immer noch nicht klar. Hannah trank, schlief ein. Währenddessen fiel die Entscheidung, dass sie erst am Folgetag dran käme und Brei essen dürfe. Ich zog also los und besorgte Brei, aß selbst noch unterwegs schnell etwas, als mich die Nachricht meines Mannes erreichte: Alles auf Stopp – sie kommt noch am Nachmittag in den OP. Ich eilte zurück und wartete weiter…
Das elendige Warten |
Einige Zeit später saß ich unruhig neben meinem schlafenden Kind, als eine ganze Schar Ärzte zu uns kam. Die OP würde nun endgültig erst am Donnerstag stattfinden. Das Risiko mit einem möglichen Infekt sei zu groß. Außerdem sei der Spezialist für die Herz-Lungen-Maschine immer noch im OP. Sie entschuldigten sich für das viele Hin und Her. Eine nette Geste. Aber wir waren trotzdem durch. Ich wollte am liebsten weglaufen. Mein Kind nehmen und einfach gehen. Das kostete alles so viel unnötige Kraft. Wenigstens durfte Hannah nun endlich Brei essen!
Endlich ESSEN! |
Ich beschloss mit meinem Mann, dass ich am Abend nach Hause fahre. Ich hatte der Großen versprochen, dass zumindest einer von uns abends bei ihr sein würde. Es zerbrach mir das Herz, in der Nacht vor der OP nicht bei Hannah sein zu können.
Abschied in der Nacht vor der OP |
Aber Emma brauchte mich genauso. Ich war mit den Nerven am Ende, hatte keine Kraft mehr und funktionierte nur noch. Es war, als würde ich taumelnd meine mütterlichen Aufgaben erfüllen. Ich wünschte mir einen Moment Stille, einen Moment aus diesem Wahnsinn ausbrechen zu können. Einen kleinen Moment, in dem irgendjemand seinen Arm um mich legt und mir einfach nur wortlos zu verstehen gibt, dass es vorübergehen wird, dass ich das gut mache und es schaffe. Stattdessen saß ich allein zu Hause. Dachte an mein Baby im Krankenhaus, an meine schlafende Tochter im Bett, an all die Ängste und Sorgen und war mir nicht sicher, wie ich all das ertragen und schaffen sollte. Zu allem Überfluss rutschte das Handy meines Mannes in die Tasche, die ich mit nach Hause nahm. Ich wusste also nicht mal, wie es den beiden im Krankenhaus ging…
Anonymous
02/11/2014 at 17:38 (10 Jahren ago)Jessika, ich musste so oft gerade tief schlucken. Obwohl ich ja weiß, wie es nun aktuell ist. Ich denke jeder kann sich gut rein versetzen. So viele Mamis haben Dich still umarmt, seit Ihr in die Klinik gegangen seid. So viele waren gedanklich permanent bei Euch <3 Und werden es weiter bleiben. Für Dich ganz ganz viel Kraft weiterhin und alles alles Liebe!!!!! Sonja Tsch
Sandra
02/11/2014 at 18:18 (10 Jahren ago)Als stille Leserin sitze ich da und finde keine Worte…. in Gedanken sende ich dir die gewünschte Umarmung und wünsche weiterhin viel, viel Kraft für alles! (Ich bin froh durch FB zu wissen, dass Hanna auf bestem Weg ist und die OP gut überstanden hat!) <br />Mein allergrösster Respekt für euch als Hanna-Familie!!<br /><br />Liebe Grüsse <br />Sandra
Anonymous
02/11/2014 at 18:47 (10 Jahren ago)Ich habe so oft an Euch gedacht und mich gefragt, ob Ihr alles gut überstanden habt… Es freut mich so sehr, dass Ihr es geschafft habt (auch wenn das Wie eine ganz andere Frage ist)!<br />Alles Liebe!<br />Mimi<br />
Anonymous
02/11/2014 at 23:24 (10 Jahren ago)Ich habe die letzten Tage täglich an euch gedacht! Es freut mich sehr zu hören, dass es gut überstanden ist! Mir blutet das Mamaherz, wenn ich den letzten Absatz lese, aber ich hoffe, es geht euch auch emotional wieder gut! <br />Liebe Grüße und weiterhin gute Gedanken!