Kennt ihr diesen Zwiespalt, wenn gute Nachrichten mit schlechten Nachrichten verbunden sind und man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll? Wenn die gute Nachricht SO gut ist, dass man Luftsprünge machen sollte, aber einem stattdessen die eigene Angst, das eigene Trauma die Beine am Boden festzementiert. Ein sehr verwirrendes Gefühl, das ich da gerade in mir habe. Und ich weiß noch gar nicht so recht, was es wird, wenn ich es erstmal ausgebrütet habe…
Deshalb blogge ich jetzt. Seelenhygiene. Ihr wisst schon…
Wir. Heute. Auf’s Fädenziehen wartend. |
Hannah’s OP ist heute genau 2 Wochen her. Es kommt mir ehrlich gesagt schon viel länger vor und ich glaube, das ist ein gutes Zeichen – für mich und uns alle hier.
Ich staune immer noch und immer wieder, wie zäh diese kleinen Kreaturen sind. Und ich bin unendlich stolz auf meine tapfere, starke Tochter, dass sie das alles so im Vorbeigehen gemeistert hat.
Wenige Stunden nach der OP wurden die Beatmungsschläuche gezogen. Die Magensonde zog sie sich selbst und am nächsten Morgen trank sie schon wieder allein aus ihrer Flasche. An Tag 3 nach der OP kamen wir zurück auf die normale Station. An Tag 5 waren wir bereits zu Hause. Das war UNGLAUBLICH. Ist es immer noch.
Es ist natürlich nicht alles nur rosarot. Wer das angenommen hat, den muss ich an dieser Stelle leider enttäuschen. Hannah ist zwar wieder fit, hat ihr Lachen und ihren Charme zurück, aber unsere Tage werden für die nächsten Wochen von festen Uhrzeiten für ihre Medikamente bestimmt werden. Hier steht eine ganze Batterie Pillen. 3x täglich Beta Blocker zum Blutdrucksenken, 2x täglich Entwässerungstabletten, 1x täglich Blutverdünner. Das alles ist eine reine Vorsichtsmaßnahme und ich hoffe sehr, dass wir, bis auf die Blutverdünner, davon bald wieder wegkommen. Dann ist da noch – oder wieder – der nächtliche Überwachungsmonitor, die Verkabelung des Kindes, die Fehlalarme. Aber zumindest den dürfen wir ab jetzt wieder weglassen und müssen ihre Werte nur bei Bedarf überprüfen.
Die Fäden wurden heut gezogen. Und die Elektroden können wieder ab. Immerhin. |
Und dann sind da noch die Entzugserscheinungen. Hannah bekam auf der Intensivstation Morphine, die – anders als bei Erwachsenen – einfach von jetzt auf gleich weggelassen und nicht nach und nach reduziert wurden. Das hat zur Folge, dass sie wie “auf Entzug” ist. Sie ist manchmal sehr unruhig, entgegen ihrem Wesen sehr weinerlich, schreckt aus dem Schlaf hoch und brüllt dann, ohne sich beruhigen zu lassen. Unsere Nächte sind gerade entsprechend durchwachsen. Aber den Preis zahle ich gern, dafür dass es meiner Tochter besser geht.
Heute, 2 Wochen nach der großen Herz-OP, waren wir zum 3. Kontrolltermin beim Kardiologen (innerhalb von 7 Tagen). Sie hat keine Wassereinlagerungen (was in den ersten 2 Wochen nach einer solchen OP wohl schnell passieren kann), hat innerhalb von nur 4 Tagen 500g zugenommen (sie frisst uns wirklich die Haare vom Kopf, seitdem ihr Herz “normal” arbeitet), bekam ihre Fäden gezogen und – der Grund meiner aktuellen Nicht-Freude – ihr Herz arbeitet ausgezeichnet! Beide Herzkammern arbeiten ausgezeichnet! “Ja, dann ist doch aber alles perfekt! Warum freust du dich dann nicht, Jessika?” Ja, vielleicht stelle ich mich mal wieder einfach nur an…
Hannah’s rechte Herzkammer, die immer zu klein war, weil kein Blut durchgeflossen ist, scheint nach heutigem Stand nach der OP unterfordert. Sie hat eine tolle Linksherzfunktion und eine ebenso tolle Rechtsherzfunktion. ABER: Durch die rechte Kammer fließt aufgrund der Glenn-OP kein Blut. Dieses wird seit dem Eingriff direkt in die Lungenarterie umgeleitet. Die rechte Kammer will arbeiten, kann aber nicht, weil kein Blut da ist, das sie durchpumpen könnte. Das heißt auf Deutsch: Hannah’s Herz hat so gut auf die OP reagiert, dass der Umbau theoretisch unnötig war und nun – Achtung – zeitnah rückgängig gemacht werden soll. Das bedeutet natürlich eine weitere große OP. Nicht morgen oder übermorgen und wohl auch nicht mehr in diesem Jahr, aber ewig werden die Ärzte wohl nicht warten, da es immer noch gilt, ihre rechte Herzkammer wachsen zu lassen. Und das funktioniert nur, wenn auch Blut durchfließt.
Völlig platt vom Fädenziehen und der anschließenden Impfung. |
Ich bin hin- und hergerissen. Ich wusste von dieser Tatsache und ich kann nicht behaupten, dass es mich gerade völlig umhaut. Ich freue mich sogar irgendwie. Wirklich! Ich bin tief im Innern unsagbar stolz, dass meine Tochter so eine Kämpferin zu sein scheint. Denn je mehr von ihrer rechten Kammer regenerierbar ist, desto normaler, nein gesünder, wird sie irgendwann mal sein. Dann braucht sie im Idealfall tatsächlich nur alle paar Jahre eine neue Herzklappe. Was für eine undenkbare Wendung, wenn man bedenkt, wie komplex ihr Herzfehler ist und was für fürchterliche Prognosen man uns in den ersten Lebenswochen gegeben hat.
Aber – ja ABER – da ist eben der Gedanke an eine weitere große Herz-OP und daran, dass dieser letzte OP-Schritt vermeidbar war. Wieder Krankenhaus, wieder nackte Angst, Panik, das Bezwingen der eigenen Dämonen. Und das ganze soll “zeitnah” passieren. Ich weiß nicht, ob ich schon so weit bin. Versteht ihr das? Das ist einer dieser Momente, in denen der Verstand nickt, euphorisch in die Hände klatscht und das Herz trotzdem ganz schwer ist. Für Hannah ist das wohl das beste, was passieren konnte. Mir nimmt es wieder ein Stück der gerade erst zurückgewonnenen Unbeschwertheit. Ich hatte gehofft, dass wir endlich zur Ruhe kommen und das Thema ganz weit wegpacken können.
Suse-Ichlebejetzt
13/11/2014 at 17:58 (10 Jahren ago)Liebe Jessica. Ihre lese hier fast seit Beginn mit und drücke auch auf Twitter heftig die Daumen.<br />Es ist so unglaublich hart für Dich das alles durchzustehen. Und Du beweist so viel Mut und Kraft. Wahnsinn.<br />Laß Dich nicht von dem Gedanken runter ziehen, daß die OP vielleicht überflüssig war. Ohne sie durchzuführen hätte man die Erkenntnis nicht gewinnen können.<br />Und wie Du sagst,
Jessika Rose
13/11/2014 at 23:26 (10 Jahren ago)Liebe Suse!<br /><br />Dankeschön für deine lieben Worte! Die Freude über die tolle Wendung überwiegt auch innerlich. Wir wussten ja, dass das im Idealfall so kommen würde. Aber dass es schon 2 Wochen nach der OP relativ deutlich ist… Puh, das geht alles ganz schön schnell.
Mama Schulze
13/11/2014 at 17:58 (10 Jahren ago)Ach Jessika, ich kann das so gut verstehen. Das ist natürlich total toll, aber es ist auch – sagen wir es mal deutlich – scheiße zugleich. Zudem kommt Ihr ja gar nicht mal richtig zur Ruhe. Ich schicke Euch Kraft. Ein Schritt nach dem anderen, und dann wird alles gut. Da glaube ich ganz fest dran. ;-*
Jessika Rose
13/11/2014 at 23:24 (10 Jahren ago)Danke dir! Natürlich wird alles gut. Aber der Eingriff ist so groß, so einschneidend. Irgendwie fühlt es sich gerade einfach nur doof an!
Mama Schulze
14/11/2014 at 08:35 (10 Jahren ago)((((((())))))))
Sandra
14/11/2014 at 06:48 (10 Jahren ago)…. ich hab grad mal die Luft angehalten und gedacht: das kann doch nicht wahr sein… es ist wahr… es ist toll… und trotzdem braucht es so viel Energie… <br /><br />Vielleicht erinnerst du dich an die kürzlich von mir zitierten Worte von Marie Ebner – von Eschenbach: <br /><br />Wenn es einen Glauben gibt der Berge versetzen kann, dann ist es der Glaube an die eigene Kraft! <br /><br />
Janine Voigtländer
14/11/2014 at 10:08 (10 Jahren ago)Liebe Jessika,<br />ja, ich verstehe Dich. Deine Freude und Deine Angst. Den Zwiespalt. Welche liebende Mutter hätte keine Sorge vor einer erneuten großen OP? Wenn diese überstanden ist und sie "nur noch" die künstliche Herzklappe hat, wirst Du erleichtert und glücklich sein, aber bis dahin ist die Anspannung vollkommen normal.<br />Hannah hat Euch nun schon so oft bewiesen, wie stark